Ulrich hat mich gestern unverhofft mit den Bildern konfrontiert und ich hab schwer daran verdaut.
Wo leben wir eigentlich.
Und wo will diese Gesellschaft hin.
Es macht mich einfach nur traurig.
Und dann das heute:
Marl/Gelsenkirchen. In Marl steht ein Vater unter Totschlagsverdacht. Weil sein Kind nicht aufgehört habe zu quengeln, habe er es geschlagen. Der Mann ist in Untersuchungshaft, die Mutter wird ärztlich betreut. Die Nachbarn sind fassungslos.
Die Eltern kommen mit dem Notarztwagen, sie wissen nicht, es ist zu spät. Kurz nach der Mitternacht von Mittwoch bringen die beiden Marler ihren jüngsten Sohn im Sanicar ins Krankenhaus, in die Kinder- klinik im nahen Gelsenkirchen-Buer; der Säugling, drei Wochen alt, sehr verletzt am Kopf, sei ihm aus dem Arm gerutscht, sagt der Vater.
Doch Stunden später ist klar: Es ist schon wieder passiert.
Gerichtsmedizin bestätigt: Kein Sturz
Ein Kind ist tot, sein Vater steht unter Totschlagsverdacht. Denn schon während Ärzte in der Nacht versuchen, das Leben des Babys zu retten, schauen sie sich fragend an: Diese Verletzungen sind viel zu schwer! Das war doch kein Sturz! So alarmieren sie am Morgen die Polizei, die die 30 und 28 Jahre alten Eltern noch in der Kinder- und Jugendklinik befragt. Und da wird es dann langsam eine andere Geschichte: Er sei mit dem Kind allein im Raum gewesen, sagt der Vater schließlich, die Mutter sei in einem anderen Zimmer gewesen; das Kind habe gequengelt, und nicht aufgehört zu quengeln. Und dann habe er den kleinen Jungen geschlagen seine Frau habe nichts damit zu tun.
Den frühen Verdacht der Ärzte bestätigen später am Tag auch Gerichtsmediziner: Kein Sturz! Nun ist der Vater, ein Kellner, in U-Haft, die Mutter wird ärztlich betreut. Die beiden wohnten in der Merkurstraße, Stadtmitte ist das, nahe dem Marler Stern; die Gegend gilt als sozialer Brennpunkt: sechs-, siebenstöckige Häuser, dutzende Wohnungen jeweils. Das albanischstämmige Paar hat noch zwei Kinder, zwei und vier Jahre alt. Und die Nachbarn? Die Nachbarn sind fassungslos und sagen, was Menschen immer sagen, wenn ganz in der Nähe etwas geschieht, was man nicht begreifen kann: Das war so ein lieber Mann, sagen sie, oder Das kann man sich gar nicht vorstellen oder Sie waren doch so nett zu den Kindern.
"Marlekin" sollte vorbeugen
Doch es ist schon wieder passiert. Dabei hatte die Stadt Marl gerade, um so etwas zu verhindern, in den letzten Jahren Marlekin aufgebaut: Jugendamt und Kinderärzte, Hebammen und Tagesstätten sind dort verknüpft, um eingreifen zu können, sobald irgendwo ein Signal oder ein leiser Hinweis auf Probleme aufkommt, so Rainer Kohl, der Sprecher der Stadt Marl.
Aber auch Marlekin kann den Leuten nicht einfach in die Wohnung gucken: Dem Jugendamt war die Familie nicht bekannt, es gab keine Hinweise auf Auffälligkeiten, so Kohl. Man werde jetzt Kontakt zu der Mutter suchen und schauen, ob und wie man der Familie helfen kann.
Dass Vertreter der Stadt alle jungen Eltern kurz nach einer Geburt automatisch besuchen und beglückwünschen und Hilfe anbieten, falls nötig, (und sich ein Bild machen von den Verhältnissen), das gibt es in Marl bisher nicht. Nebenan in Gelsenkirchen, da gibt es das, wo das Kind jetzt starb im Krankenhaus.
http://www.derwesten.de/nachrichten/waz/rhein-ruhr/2008/11/12/news-90404270/detail.html